CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
von Thomas Hintze
Aus seiner umfangreichen CD-Sammlung
fischt der Jazz-Kenner und -Liebhaber
Thomas Hintze für die STEREO-Leser jeden
Monat die schönsten Schätze. Im Folgenden
widmet er sich den Standards.
Meine Jazz Standards
„Milestone“
E
s ist wahrlich nicht so häufig,
dass Kompositionen von Jazz-
musikern, vor allen Dingen, wenn
sie den Titel ganz speziell für sich
geschrieben haben, zum Stan-
dard werden. Ein Gegenbeispiel
ist
„Milestones“
von
Miles Da-
vis
(
1 9 5 7
), aufgenommen Anfang
1 9 5 8
. Der ursprüngliche Titel, auf
der Orginal-LP vermerkt, lautete
„Miles“ , doch dann erwies sich
die Musik in der Tat als ein „Mei-
lenstein“ des modernen Jazz, so-
dass die Veröffentlichung unter
dem Namen „Milestones“ (Co-
lumbia) den Musikmarkt erreich-
te. Schade, dass dieses Stück -
wie drei weitere - in Mono aufge-
nommen wurde, obwohl CBS Klas-
sik damals bereits seit einiger Zeit
in Stereo produzierte. Seitdem gab
es zwar auf Stereo getrimmte Fas-
sungen, doch wenn Sie mich fra-
gen, bevorzuge ich dann doch die
Originalversion, an der nicht ma-
nipuliert wurde. Der Tonträger des
Labels Mobile Fidelity liegt mir als
SACD vor, und wie nicht anders zu
erwarten klingt sie einfach groß-
artig. Falls Sie aber lieber eine CD
lich vor sich her. Dieser Drive blieb
später in den meisten Aufnahmen
anderer Jazzmusiker erhalten, ist
er doch das Herzstück dieses Mei-
lensteins.
Es gibt eine unglaubliche Vielzahl
von Einspielungen, da fällt mir die
Auswahl schwer. Aber lassen Sie
mich mit einem Musiker fortfah-
ren, der Miles Davis besonders na-
he stand: dem Pianisten
Bill Evans
,
der Mitglied bei diesem Großmeis-
ter war und auf der legendären
Platte „Kind Of Blue“ mitwirkte.
tenden Part von Bill Evans am Kla-
vier, der die Tasten geradezu strei-
chelt, um dann an LaFaro zu über-
geben.
Ich hatte schon erwähnt, dass der
Titel bei Davis und Evans durch die
jeweiligen Schlagzeuger einen un-
glaublichen Drive erfährt. Da bie-
tet sich eine Fassung für Big Band
geradezu an. Zwar fällt mir hier un-
ter anderem Buddy Rich ein, doch
möchte ich
Gerald Wilson
den Vor-
zug geben. Wilson war einer der
profiliertesten Big-Band-Leiter, Ar-
geren Vorspiel auf, sondern kommt
gleich zur Sache. Auch hier sitzt ein
Schlagzeuger von Rang auf seinem
Schemel, es ist Mel Lewis, auch
er war später Big-Band-Chef unter
anderem in Kooperation mit dem
Trompeter Thad Jones. Überhaupt
scheinen Trompeter eine Affinität
zum Leiten großer Klangkörper zu
haben, denn auch Gerald Wilson
war einer. In besagter Big Band
sind hervorragende Solisten ver-
sammelt, allen voran Carmel Jones
(Trompete) und Harold Land (Te-
norsaxophon), und sogar Joe Pass
auf der Gitarre steuert ein befeu-
erndes Solo bei. Wenn Sie es ein-
mal so richtig krachen lassen wol-
len, hier liegen Sie richtig.
Zum Abschluss noch einmal
ein Klaviertrio, das sich mit Recht
„Master Trio“
nennt und unter
dem Namen des Pianisten
Tommy
Flanagan
(Prestige Elite Jazz Great
Series) firmiert. Aber auch der Kol-
lege am Bass (Ron Carter) und
Schlagzeuger Tony Williams wer-
den dem Ehrentitel gerecht. Tommy
Flanagan spielt geradezu beflügelt
durch die „Begleitung“ von Ron
Miles Davis: Milestone
Bill Evans Trio: Waltz For Debby
Gerald Wilson: You Better Believe It! +
Moments Of Truth
Tommy Flanagan: Master Trio
oder LP erwerben möchten, sollten
Sie in jedem Fall die Monovariante
bevorzugen. Nun aber zur Musik.
„Milestones“ ist eine ungeheuer
energiegeladene, swingende An-
gelegenheit. An der Seite von Da-
vis agieren John Coltrane (Tenor-
saxophon), Julian Cannonball Ad-
derley (Altsaxophon), Red Garland
(Klavier), Paul Chambers (Bass)
und Philly Joe Jones (Schlagzeug).
Nachdem die Bläser den Titel vor-
gestellt haben, eröffnet Cannon-
ball den Solopart, gefolgt von Da-
vis und Coltrane. Was mich beson-
ders an dieser Aufnahme begeis-
tert, ist der Grundbeat von Philly
Joe Jones, er treibt die Band förm-
Auf Bill Evans’ CD
„Waltz For Deb-
by“
(Riverside) hören wir „Miles-
tones“ in einer Live-Aufnahme im
Village Vanguard
1 9 6 1
. Der kurz
danach bei einem Autounfall ums
Leben gekommene Bassist Scott
LaFaro spielt hier ein großartiges
Solo; ich würde sogar so weit ge-
hen zu sagen, dass er den Titel fast
allein bestreitet. Er strahlt eine un-
geheure Souveränität und Virtuosi-
tät aus, so dass das Hintergrund-
gebrabbel der „Zuhörer“ fast nicht
stört. Das Trio wird komplettiert
durch den Schlagzeuger Paul Mo-
tion, der ähnlich wie Philly Joe Jo-
nes die Musik zum Swingen bringt.
Genießen Sie aber auch den einlei-
rangeur und Komponist. Noch bis
ins hohe Alter, er starb im Septem-
ber
2014
mit
9 4
Jahren, war er aktiv,
auch als Hochschullehrer machte er
sich einen Namen. Aufgenommen
wurden die beiden Platten beim
Label Pacific in Los Angeles, jetzt
werden sie zusammen auf einer CD
mit dem Doppeltitel
„You Better
Believe It + Moments Of Truth“
in der Reihe „American Jazz Clas-
sics“ veröffentlicht, die ungetrüb-
ten Big-Band-Sound aus den Jah-
ren
19 6 1/6 2
bietet. Der Standard
„Milestones“ kommt hier genauso
zündend, wie man es nach den an-
deren Titeln erwarten darf. Wilson
hält sich gar nicht mit einem län-
Carter und Tony Williams, denn die
beiden geben so richtig Gas. Es ist
schwer zu sagen, wer denn hier
die Führung hat. Mal übernimmt
sie das Klavier, dann wie selbstver-
ständlich der Bass Ron Carters. Nur
der Herzschlag von „Milestones“ ,
der wird wieder vom Schlagzeuger
vorgegeben, dem ehemaligen Mi-
les Davis-Mann Tony Williams. Auf-
genommen wurde die CD in New
York
1 9 8 3
. Die Aufnahmequalität
aller vier Empfehlungen ist aus-
gezeichnet, doch für das Master
Trio würde ich noch einen halben
Punkt dazugeben, also
„5
Sterne
plus“. Viel Spaß beim Hören, Ihr
Thomas Hintze.
130 STEREO 2/2015
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